URMILA - für die Freiheit. Kinostart: 26.05.2016 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 20.05.2016


URMILA - für die Freiheit. Kinostart: 26.05.2016
Laura Seibert

Die Dokumentation von Susan Gluth begleitet die Aktivistin Urmila Chaudhary aus Nepal. Deren unermüdliches Engagement gilt der Befreiung von Mädchen und Frauen aus der Sklaverei, welche auch Teil ihrer eigenen Geschichte ist.




"Mir ging es nicht darum, einen Aufklärungsfilm über Sklaverei und Menschenhandel in Nepal zu realisieren," sagt die Regisseurin Susan Gluth über ihren Film. Ihr Anliegen war vielmehr, die beeindruckende Geschichte einer realen jungen Frau zu erzählen, von der sie erstmals 2011 im Spiegel las.

Urmila Chaudhary war zu diesem Zeitpunkt schon eine bekannte politische Aktivistin. "Ich habe gleich an ein politisches Märchen gedacht, das uns allen etwas erzählen und bedeuten kann und das uns vor allem emotional bewegen wird," erinnert sich Susan Gluth. "Wir haben uns vom ersten Moment an vertraut. Das ist die Basis." Zwischen Urmila und der Regisseurin entwickelte sich unmittelbar bei dem ersten Kennenlernen 2011 ein vertrauensvolles Miteinander, welches das Gelingen des Projekts überhaupt möglich machte. Es entstand eine bewegende Dokumentation, deren Recherche und Dreharbeiten sich über viereinhalb Jahre hinzogen, bis zur finalen Postproduktion am 31.12.2015.

Ausbeutung und Manipulation

Zwölf Jahre lebte Urmila Chaudhary in Gefangenschaft und verrichtete Zwangsarbeit. Ihr Bruder verkaufte sie als "Kamalari" (auch "Kamlari" geschrieben, "Sklavenmädchen"), um die Situation der Familie zu verbessern, die im Südwesten des Landes, in der Nähe der Grenze zu Indien lebt und der Ethnie Tharu angehört.

Menschenhändler_innen nutzen Analphabetismus und finanzielle Not für ihre Zwecke aus: Mit dem falschen Versprechen auf ein besseres Leben durch Bildung für Urmila wurde die Familie manipuliert, die fortan 50 Euro im Jahr für ihre versklavte Tochter erhielt. Dieses Schicksal, geprägt durch körperliche und seelische Gewalterfahrungen, teilt sie in Nepal mit tausenden Mädchen und Frauen.

Seit ihrer Befreiung durch eine Menschenrechtsorganisation kämpft Urmila für die Freiheit der Kamalaris: Gemeinsam mit der Organisation "Freed Kamlari Development Forum" (FKDF), die zur NGO Nepal Youth Foundation gehört, konnte sie bereits etwa 13.000 Mädchen und Frauen aus der Sklaverei retten.
In einem zweistöckigen blauen Gebäude außerhalb der Stadt leben die Frauen und Mädchen gemeinsam und organisieren ihren Alltag größtenteils selbst. Ihre Traumata verarbeiten sie in Theaterstücken. Diese verhelfen den ehemaligen Kamalaris zu einer starken und ermächtigten Rolle, indem sie ihre Geschichte erzählen und so Tabuisierung und Schweigen durchbrechen.

Mutige Aktivistinnen im Kampf um die Befreiung aus der Sklaverei

Der Film richtet seinen Fokus vor allem auf die Mitglieder vom FKDF, deren Vorsitzende die heute 25-Jährige Urmila Chaudhary ist. Regelmäßig organisieren sie Demonstrationen und Streiks. Ihre Stärke und Entschlossenheit wird deutlich, wenn sie als Delegation vor den offiziellen Regierungsvertreter_innen (bis auf eine Ministerin handelt es sich ausschließlich um Männer) ihre Forderungen für eine wirksame Veränderung der Situation der Kamalaris äußern und sich nicht durch das offensichtliche Desinteresse einschüchtern lassen.

Während des Films bleiben andere Hintergründe der Befreiung, sprich die Struktur der beteiligten NGOs, eher vage. Es ist zweifellos erstrebenswert, die Aktivistinnen in den Vordergrund zu rücken und gerade ihnen eine Bühne zu geben. Andererseits ist es ein kleiner Schwachpunkt des Films, die Bedeutung der NGOs nur anzudeuten, denn dadurch bleibt die Frage offen, wieviel Mitsprache sie in der Organisation der Befreiungskämpfe haben.

Bildung als Weg in die Selbständigkeit

Das wichtigste Thema des Films ist Bildung. Der Zugang zur Schulbildung ist das erste, was den befreiten Kamalaris - über eine sichere Wohnsituation hinaus - ermöglicht wird. Die meisten von ihnen konnten nur wenige Jahre zur Schule gehen bevor sie versklavt wurden. Auch Urmila möchte ihren Schulabschluss nachholen und Jura studieren. Ihr Traum ist es, Anwältin zu werden. In Nepal wurde die Leibeigenschaft gesetzlich zwar abgeschafft, dennoch ist die Praxis eine andere. Dagegen will Urmila in der Zukunft noch wirksamer vorgehen, durch entscheidende Veränderungen auf politischer Ebene und die Umsetzung bereits geltender Gesetze. Ihr Ziel ist es, die SLC Prüfung zu schaffen, den Schulabschluss nach der 10. Klasse, den sie unbedingt für die weiterführende Hochschulbildung braucht.
Diesen Traum gibt sie nicht auf, auch nicht, als sie die SLC Prüfung beim ersten Versuch nicht besteht. Auf die Frage, ob sie es beim nächsten Versuch schaffen wird, antwortet sie überzeugt: "Anyway, anyhow!"

Die Spannungskurve der Doku orientiert sich an den individuellen Zielen von Urmila Chaudhary.
Dabei stellt die junge Frau sich neben der SLC Prüfung und den Befreiungskämpfen noch weiteren Herausforderungen. Bewusst sucht sie das Gespräch mit ihren Eltern. Es ist ihr ein Anliegen zu erfahren, ob diese den Verkauf heute bereuen. Dabei schont sie weder sich, noch ihre Mutter oder ihren Vater, fragt nach deren Gefühlen und Wünschen. Überwältigend ist es, zu erfahren, wie sie die Zuneigung für ihre Familie bewahrt.

Der Film zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie Selbstbestimmung immer wichtiger für die politische Aktivistin wird und wie sie sich durch die Menge an Ratschlägen, die von allen Seiten auf sie einprasseln, in ihren Zukunftsplänen nicht umstimmen lässt. Gleichzeitig distanziert sich der Dokumentarfilm von der Perspektive der internationalen Akteur_innen, die der Zuschauerin den Eindruck vermitteln, sie instrumentalisieren zu wollen.
Der nagenden Überforderung der Protagonistin, zwischen eigenen Zielen und den Interessen anderer entscheiden zu müssen, entgegnet der Film durch eine eindeutige Parteinahme für Urmila Chaudhary.

AVIVA-Tipp: "Urmila – für die Freiheit" ist eine sensible Doku, die das persönliche Schicksal einer jungen Anti-Sklaverei-Aktivistin erzählt. Anhand der bewegenden Biographie erfährt die Zuschauerin von den aktuellen Befreiungskämpfen in Nepal. Der Film fokussiert sich jedoch darauf, die Stärke und das Engagement seiner Protagonistin und ihrer Mitstreiterinnen zu zeigen und steht so ganz im Zeichen des Empowerments. Empfehlenswert!

Zur Regisseurin: Susan Gluth studierte Dokumentarfilmregie an der HFF München und realisierte seit 1995 zahlreiche Dokus für Kino und Fernsehen. Darunter "Playing Hooky – Getting Old is not for Sissies" (2014) und "Shadows of Fate – A Refugee Childhood" (2006). Für ihre Dreharbeiten und Recherchen reist die Produzentin, Fotografin, Filmverleiherin und Dozentin regelmäßig um den gesamten Globus. "Urmila – für die Freiheit" wurde in die Vorauswahl des Deutschen Filmpreises 2016 gewählt. Die Weltpremiere wird die Doku am 29. Mai 2016 auf dem "Hot Docs"-Festival in Toronto feiern.
Weitere Infos zu Susan Gluths Filmen auf ihrer Internetseite: www.susangluth.de

Auf Twitter können Sie Urmila und das FKDF unterstützen: #SupportUrmila
Schulmaterial zum Film als PDF zum Download. Bei Interesse an einer Schulvorführung können Sie per Email in Kontakt mit dem Filmverleih treten: dispo@farbfilm-verleih.de.

URMILA – für die Freiheit
D 2016
Regie und Kamera: Susan Gluth
Buch: Susan Gluth, Silke C. Schultz, Kristl Filippi
Schnitt: Xavier Box, Susan Gluth
Ton: Benjamin Simon, Ulla Kösterke
Musik: Dominic Miller, Hagay Sofer, Christian Conrad
Lauflänge: 87 Minuten
Original mit deutschen Untertiteln
Kinostart: 26.05.2016
Mehr zum Film unter: www.urmila-film.de

Gemeinsam mit der Schriftstellerin und Journalistin Nathalie Schwaiger schrieb Urmila Chaudhary ein Buch über ihre eigene Geschichte.



Sklavenkind
Urmila Chaudhary, Nathalie Schwaiger

Knaur TB, erschienen 01.12.2014
Taschenbuch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-426-78473-0
9,99 EUR
www.droemer-knaur.de

Weitere Informationen finden Sie auf den folgenden Seiten:

www.maitinepal.org
The CNN Freedom Project
www.nepalyouthfoundation.org
Der Artikel aus dem Spiegel von Dialika Krahe über Urmila Chaudhary auf Deutsch: "Der Sklavenaufstand" (2011) und auf Englisch: Nepal´s Lost Daughters: Victims of Child Slavery Learning to Fight Back

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Jennifer Clement - Gebete für die Vermissten
Entführungen von Frauen und Mädchen durch Drogenkartelle gehören im mexikanischen Bundesstaat Guerrero zum Alltag. Im Roman der Präsidentin von PEN International wird aus Sicht der 16-jährigen Ladydi von traumatischen Erlebnissen und Hoffnungen der Betroffenen erzählt, die von der korrupten Polizei und Politik im Stich gelassen werden. (2016)

Amana Fontanella-Khan - Pink Sari Revolution. Die Geschichte von Sampat Pal, der Gulabi Gang und ihrem Kampf für die Frauen Indiens. Deutsche Botschaft in Neu Delhi verweigert Visum für Sampat Pal
Mit dem Schlagstock unterm Sari: In Indien lehnen sich Tausende Frauen gegen die massive Gewalt auf, verhindern Kinderhochzeiten und zwingen Polizisten dazu, einen Vergewaltiger zu verhaften. (2014)

Nivedita Prasad ist die erste Trägerin des Anne-Klein-Frauenpreises
Die Heinrich-Böll-Stiftung zeichnete am 02. März 2012 die 1967 in Madras/Indien geborene Nivedita Prasad für ihren langjährigen und engagierten Kampf gegen Menschenhandel und moderne Sklaverei aus. (2012)

US-Schauspielerin Demi Moore unterstützt CNN Freedom Project
Die in Zusammenarbeit mit CNN International entstandene TV-Dokumentation "Nepal`s Stolen Children" über Menschenhandel in Nepal ist der neueste Beitrag des Nachrichtensenders zum Freedom Project "Ending Modern-Day Slavery". Weltweit wurde die Dokumentation "Nepal`s Stolen Children" am 26. Juni 2011 zum ersten Mal ausgestrahlt. (2011)

Iris Berben und Nicole Maibaum - Frauen bewegen die Welt
Die Schauspielerin und die Journalistin und Autorin stellen in diesem Buch 24 mutige, prominente oder unbekannte Frauen aus aller Welt vor, die durch ihr Handeln die Welt zu einem besseren Ort gemacht haben oder dies noch immer tun. (2009)




Kunst + Kultur

Beitrag vom 20.05.2016

AVIVA-Redaktion